NETZWERK

Ein zweites Mal auf la Palma. Bereits im Jahr zuvor hatte der Hafen von Tazacorte meine ganze Aufmerksamkeit erregt, eine geradezu surreale Welt und ein Produkt europäischer Entwicklungspolitik zur Förderung des Tourismus. Doch die erwarteten großen Kreuzfahrtschiffe und Autofähren machen glücklicherweise einen großen Bogen um diese westlichste Insel der Kanaren. Zu weit abgelegen. Doch die Architektur und die große Leere waren faszinierend und hatten mich zu kontrastreichen Schwarzweißgrafiken animiert. Dafür wurde erst dieses Jahr der eigentliche Hafen mit Werft und Bootsliegeplätzen erkundet. Hinter den Segelyachten der Hafen und Anleger der kleinen Fischer. Wie rundum auf dem Globus sind es auch hier winzige Fischerboote, die nachts auf dem Atlantik auf Fischfang gehen. Meist drei oder vier Mann an Bord, um die großen Netze auszubringen und vor allem mit hoffentlich gutem Fang wieder einzuholen – selbständige Unternehmer, die mit den gut organisierten großen Fangflotten nicht konkurrieren können und nur den lokalen Markt versorgen. Fangen sie etwa auch die Thunfische mit solchen Netzen? Eines Morgens lag ein etwa zweihundert Meter langes Netz ausgebreitet auf der großen Betonplatte. Ein Netz wie ein Patchwork aus vielen unterschiedlichen Stoffen, verschiedene Farben, auch differierende Maschenweiten. Und neue Risse, Löcher und Fehlstellen, die unteren und oberen Ränder durch Bleischnüre und Schwimmer erkennbar. Faszinierend. Meine Neugier war geweckt durch diesen zugegeben malerischen Reiz. Struktur. Textur. Material. Farbe. Form. Und vor allem Geschichte. Die Geschichte täglicher Herausforderung. der Ausdruck eines absolut sparsamen Lebens. Neue Netze? Wohl kaum erschwinglich. Deshalb immer wieder ausbessern, flicken, neue Teile einfügen. Ein altes, abgetragenes aber noch nützliches Kleidungsstück, auch wenn die vielen Löcher den Extrakt des Fischens äußerst mühsam machen. Darf ich angesichts dieser sichtbaren Härte auf Bildfang gehen und eigene Schönheiten entdecken, ohne das eigentliche Drama darzustellen? Sollte ich besser eine weitere Dokumentation beginnen? Doch mich fasziniert das locker dahingeworfene Netz, hier gerafft und dort ausgebreitet, so dass die Struktur der Betonplatten für etwas Orientierung und Ordnung sorgen können. Hier bot sich mir ein großes Angebot an eigenwilliger Schönheit. Dies zeigte sich auf andere Weise ein paar Tage später mit einem deutlich neueren Netz, rostbraun bis orange leuchtend. Vielleicht sind die Fische ja rotblind, denn Farben müssen sie wohl sehen können. Warum sonst so viel Aufwand für die Farbgestaltung der Männchen vieler Fischarten? Mit diesem gewaltigen Netz entstanden teilweise körperlich-sinnliche Formationen, Verhüllungen mit reizvollen Faltungen. War den Fischern hier vielleicht eine indische Meerjungfrau ins Netz gegangen? Oder sind das Landschaftsaufnahmen aus der marokkanischen Wüste im Abendrot der untergehenden Sonne? Oder geht hier soeben der Vorhang auf für ein neues Theaterstück? Ich habe einen Vorschlag für den Titel dieser Aufführung.
Netzwerk. Networking wird von Fischern schon seit tausend Jahren betrieben. Heute müssen sie aufpassen, nicht selbst aus dem Netz zu fallen. Kleine Fische. Nicht wichtig für die Großen des Fischfangs mit ihren großen Flotten. Und dem großen Kapital. Hoffentlich hält das kleine Netzwerk der kleinen Fischer noch lange.