ONLYOU

onlyou Als ich den Schriftzug das erste Mal auf der Straße sah, dachte ich spontan, schon wieder solche Schmiererei. Und jetzt auch noch auf dem Fußweg. Es reicht doch, wenn die Wände mit Tags verunstaltet werden. Aber dieser hier ist anders. Gekonnt. ONLYOU. Mit unglaublich freiem Schwung auf die Straße geschrieben. Eine ausgeprägte Handschrift, die ohne Anstrengung und Absatz eine Liebeserklärung auf dem Asphalt und den Gehwegplatten hinterlässt. Romeo an Giulia. Nur Du. Ob die Angebetete es weiß? Ist es ihr täglicher Weg, der sie mit dieser Botschaft begleitet? Immer wieder entdecke ich diese Spur. ONLYOU. So einfach, wie ein Substantiv. Aber eigentlich in Kleinschrift: onlyou. Weiß, dick und pastös aufgetragen, wie mit einem Füllhalter dahin skizziert. Eine Stadt-Kalligraphie. Womit ist das geschrieben? Es ist ja kein Pinsel. Direkt aus der Tube? Dann würde der Strich nicht so locker gleichmäßig fließen. Nachdem ich einige fotografiert habe, komme ich mir wie ein Komplize vor, als wenn ich mit meiner Fotografie den Liebenden ermutigt hätte. Oder wie jemand, der andere belauscht, ihnen zusieht. Ja, ich gebe es zu: Ich bin ein Voyeur, der sich für die Stadt und ihre Merkwürdigkeiten interessiert. Die vielen Sprachen und Zeichen, die sich hier mischen; die seltsamen Zusammenstöße des Zufalls; die Irritationen, die durch Spiegelung und Brechung entstehen; die bewussten Täuschungen und Inszenierungen in den Schaufenstern; die Abstraktion durch Bewegung und Schnelligkeit; die Aggressivität in Kleidung und Haltung, um die eigene Ohnmacht zu überspielen – oder das Gegenteil: Die Liebe und Lebensfreude, die die beiden Alten in Köln verbindet und mit der sie die Ohnmacht bewältigen. ONLYOU. Das Bild habe ich ihnen geraubt, habe sie in Köln unbemerkt fotografiert. Wenn ich sie gefragt hätte, wäre die Natürlichkeit des Moments verflogen. Ich will ihnen bei nächster Gelegenheit ein Foto drucken, das in ihren Habseligkeiten noch Platz findet. Und werde sie nachträglich um ihre Erlaubnis bitten. ONLYOU. Bei den teilweise täuschend nachgemachten Kunstmenschen, den Schaufensterpuppen, brauche ich das nicht. Sie spielen ihre Rolle still und ausdauernd – als Model, als identitätslose Figur. You have lost your identity – ein Risiko, dem man in der Masse ausgesetzt ist. Das Graffito fand ich in Leverkusen, an einem wirklich verlorenen Ort. Um Identität und die teilweise angestrengten Bemühungen, diese über das Äußere zu behaupten, geht es mir bei anderen Fotos. Den Handamputierten Romeo aus der Eisenacher Straße in Berlin wollte ich erst nur unversehrt auf dem Bild erscheinen lassen, bis ich merkte, dass gerade darin die Simulation durch-schaubar wird. Beim zweiten Hinsehen. Wochen später, bei einem weiteren Besuch stieß ich auf Giulia, seine Partnerin, die er noch nicht kennengelernt hat. Auch ihr fehlte die linke Hand – und ich konnte es kaum glauben: im Hintergrund flatterte die Fahne „Second Hand“. Das Absurde, Irrationale setzt die Phantasie frei. Auch deshalb liebe ich die Stadt – ONLYOU