Es war während unseres Familientreffens, wie alle zwei Jahre. Die letzten Tage im August 2019. Ein heißer Sommer. Unsere Cousine G. L. zeigt uns die Stadt. Öffnet uns die Türen zu verschiedenen Museen. Industriegeschichte. Altes Bauerndorf. Und dann diese alte Schulbibliothek - noch heute zugänglich für die Schülerinnen und Schüler. Die gesamte abendländische Geschichte in alten Bänden. Horaz. Cicero. Vergil. Aristoteles. Gebraucht. Abgegriffen. Verschlissen. Albertus Magnus. Die Bibel in mannigfaltigen Versionen. Wie viele Hände haben diese Werke studiert, damit gearbeitet? Während der liebevollen Erläuterungen des sympathischen Bibliothekars und Lehrers – einige seiner Bücher sind sicherlich zehnmal so alt wie er – entferne ich mich vorsichtig, bewege ich mich still zwischen den hohen Regalen, fasziniert von den alten Werken – jedes eine Rarität, jedes eine Persönlichkeit. Wertvolle alte Einbände aus Leder, Pergament, Leinen zeugen von altem Buchbinderhandwerk. Die Zeit hat Spuren hinterlassen. Jahrhunderte. Die Kanten abgestoßen, das Leder ausgetrocknet, gerissen. Das Innenleben zeigt sich an manchen Stellen, die Rückenkaschierung aus alten Druckbögen wird sichtbar. Ausgeblichene Farben. Schwere Bände. Leichte Bände. Unterschiedliche Größen, Dicken, Bindetechniken. Der Anblick der Bücher fasziniert mich. Ich sehe Bilder. Beginne zu fotografieren. Farbkompositionen, Bildaufbau: eine strenge Architektur durch die vertikale Ordnung. Darüber ziehen sich wie ein Muster kleine farbige Etiketten. Die Titel wurden mit der Ziehfeder geschrieben. Ein Archiv braucht ein System – und dieses muss sich der Zeit, dem Wachstum, dem Wechsel anpassen. Verschiedene Ordnungen werden hierdurch sichtbar – aber eben auch malerische Wirkungen. Ist es erlaubt, sich dieser Tiefe europäischer Kulturgeschichte so oberflächlich anzunähern? Nur einfach Bildchen davon zu machen? Und dann auch noch mit dem Handy? Der Bibliothekar schaut kritisch, oder bilde ich mir das nur ein? Aber ich berühre ja nichts, fasse keines dieser wertvollen Bücher an. Und mache auch kein Selfie mit Aristoteles. Nein, ich lege ein pesönliches Album mit Bildern an, das ich zurück in Braunschweig sichte, ordne, die Fotos bearbeite, bis sie meinen inneren Bildern entsprechen. Eigentlich sind es ja erst die Skizzen für die Fotos, die ich gerne mit meiner Kamera machen möchte. Und dabei entsteht dieser Fotoband – ein Skizzenbuch über die Bücher, die noch weitere Jahrhunderte überleben werden. LIBRI. Welch eine Freude. Danke G. Und danke, verehrter Pädagoge, für die begeisterte Vermittlung. Walter Ackers Braunschweig 2019